Macht versus Moral - Münklers Imperative deutscher Politik
- Michael Treiss
- 17. Okt.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 20 Stunden
Prof. Herfried Münklers herausragender Vortrag: Machtpolitik verdrängt moralische Leitbilder und Handlungsbedarf für die deutsche Politik.
AUTOR: MICHAEL TREISS
GRÄFELFING, DEN 17.10.2025
Gräfelfing (LitG) - An diesem Abend begrüßte Herr Ulrich Rosenbaum im Namen der Literarischen Gesellschaft Gräfelfing den früheren Kanzlerberater Herfried Münkler. In seinem Fachgebiet - treffendster Name: die Wissenschaft vom Krieg und Frieden - gilt er als ein herausragender Politikforscher, der nicht stets im akademischen Mainstream argumentiert.
Als emeritierter Lehrstuhlinhaber an der Humboldt-Universität zu Berlin veröffentlichte er eine Reihe vielbeachteter Werke zu den aktuellen tektonischen Verschiebungen der Weltordnung. Darin untersucht er die globalen Brüche theoretisch wie feldbezogen und leitet dazu Empfehlungen an die Politik ab.
Prof. H. Münkler und vollbesetzte Aula des KHG. Fotos hier und unten von Prof. R. Hickel.
Machtpolitik mit Beispielen aus USA und Russland
Zentrum seiner Überlegungen ist, dass "wir" - also Deutschland und Europa - im Weltgeschehen machtbasiert agieren, und das liebge-wonnene Ideal der regelbasierten Politik loslassen müssen. Seinen nüchternen Politikbegriff wählt er absichtsvoll in klarer Abgrenzung zum moralisch überformten Begriff der Politik des Stärkeren, wie er in den Leitmedien gängig ist. Münkler führt aus, dass die Vereinigten Staaten die Rolle des 'Hüters der (Welt-)Ordnung' nicht mehr ausüben.
![]() | Anhand der US-Politik und der des versunkenen British Empire erläutert Prof. Münkler, wie zum Beispiel maritime Vorherrschaft zur Weltmacht führt. Nach der Lehre des Navalismus "beherrscht" man das Meer erst dann, wenn man die Küsten auf beiden Seiten des Meeres kontrolliert. Hierfür haben die Ameri-kaner sogar eine eigene Fachzeitschrift, siehe Bild links. Der Autor zieht dazu den Vergleich mit der erfolgreichen |
Schweizer Politik, sich das Gebiet beider Rampen ihrer wichtigen Alpenpässe zu sichern. Alternativ könne die Herrschaft auf See auch über die Kontrolle strategisch platzierter Inseln ausgeübt werden. Beispiel des Autors ist Diego Garcia im Indischen Ozean als Schlüssel für die dortige Einflusssphäre der USA. Diesen Begriff, so Münkler in der Fragerunde, wolle er bewusst entstigmatisieren. Mit dieser Betrachtungsweise könnte Donald Trumps ungeschickt scheinendes Streben, Grönland den USA einzuverleiben, besser eingeordnet werden.

Machtdoktrin auf russisch. 'Aufsatz' des Präsidenten der Russischen Föderation.
Russlands Machtstreben, so Prof. Münkler, folgt einer anderen, gleichfalls imperialen Logik: günstige Energielieferungen, gezielte Desta-bilisierung im sogenannten nahen Ausland und die verdeckte militärische Einflussnahme im Graubereich zwischen Frieden und Krieg - auch als hybrider Krieg bezeichnet. Zur See verfolgt Russland im Schwarzen Meer das Prinzip des steten Tropfens, um seinen Einfluss auszudehnen, allen voran in der Ukraine. Ist Putin dort erfolgreich, dürfte sich Russlands geopolitische Begierde dem nächsten Meer zuwenden: der Ostsee - und mit ihr den Staaten im Baltikum.
Was Münkler anstrebt

Die strategischen Leitlinien der USA und auch Russlands seien für uns Europäer außerordentlich gefährlich, erklärte Prof. Münkler. Er verglich unseren Kontinent mit einem Sandwich, das zwischen beiden Mächten eingezwängt sei. Darüber hinaus - hierzulande kaum bemerkt - haben die USA schon unter Präsident Obama ihren strategischen Fokus von Europa weg auf die Volksrepublik China und den Pazifikraum verlagert, bekannt als Pivot to Asia (Hillary Clinton, 2011). Herfried Münkler warnt auch, in Europa zu hoffen, dass sich die Amerikaner uns wieder 'wie in alten Zeiten' zuwenden, wenn Donald Trumps Amtszeit einmal endet. Die Vereinigten Staaten haben alleine schon aus theoretischer Sicht, wie Prof. Münkler analysiert, keinen politischen und ökonomischen Anreiz mehr zu einer Rückkehr in eine Beschützerrolle für Europa.
Diese prekäre Melange zwinge die Europäer zu einem neuen politischen Denken. Dies bedeutet anzuerkennen, dass unser bisheriger, historisch auch tragfähiger, regelbasierter oder wertegeleiteter Politikansatz leider zerbrochen ist und nicht mehr fortgeführt werden kann. Münkler empfiehlt Europa und insbesondere Deutschland, sich in dem jetzt entstehenden multipolaren "Konzert der Mächte" selbst zu behaupten. Den europäischen Staaten stellt er anheim, sich um das Zentrum Deutschland zu formieren und deutlich hierarchischer als bisher zu inter-agieren. Damit könne Europa ein schnell und konsequent handelnder Akteur werden, auf Augenhöhe mit seinen Konkurrenten. Scheitern diese Bemühungen, so werde Europa zur Provinz oder zum 'Fußabtreter' der Supermächte.

Herfried Münkler sprach vor etwa 270 Gästen auf der Veranstaltung der Literarischen Gesellschaft. Er nahm kein Blatt vor dem Mund, sein Vortrag war von erster akademischer Güte. Über eineinviertel Stunden sprach er frei, souverän und mit der Gelassenheit eines ab- und aufgeklärten Elder Statesman in der nahezu voll besetzten Aula des Gräfelfinger Gymnasiums. Die Fragerunde im Anschluss beschäftigte sich vorwiegend mit den praktischen Implikationen seiner machtbasierten Politiktheorie sowie mit den weiten nationalen Unterschieden auf dem Weg zum "Akteur Europa".
Der Blick des Autors Der Autor teilt im Wesentlichen Münklers präzise und brillant tief gestaffelte Analyse, subjektiviert: seinen beeindruckenden Machtsprech. Zweifel kommen auf bei der Aussicht auf die politische Umsetzbarkeit. Oder, aus der technokratischen Sicht der EU: stehen Geld und Personen für ein abschreckungsfähiges 'europäisches' Militär bereit sowie kommt der Rechtsrahmen für eine 'europäische Verteidigung'?
Herfrieds Münklers Vortrag kann ergänzt werden um den Blick auf unsere gesellschaftliche Mitte, also auf die Frage: wie lässt die Haltung zum Frieden durch Stärke anschlussfähig machen und - (wie) kann sich unsere Republik wirklich darauf einlassen?
Feedback an den Autor erbitten wir an verwaltung@literarische.de
Ankündigung in der Süddeutschen Zeitung: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/landkreismuenchen/graefelfing-literarische-gesellschaft-kurt-huber-gymnasium-veranstaltungen-vortraege-herbstprogramm-li.3314873
Bildquellen: Titelblatt der Marine Corps Doctrinal Publication 1-6, United States Marine Corps (USMC), rechtefrei nach US-Recht (Title 17 U.S.C. § 105.)
Hinweise: a) Die Literarische Gesellschaft erhielt vom Lehrstuhl Prof. Dr. Münkler freundlicherweise sein Skript zum Thema "Welt im Umbruch" zur Verfügung gestellt. Wir haben aus diesem an einigen Stellen zitiert, auch begrifflich adaptiert - für weitere Erläuterungen, in Sonderheit theoretische.
b) Der Verfasser ist Diplom-Volkswirt und seit 2023 ehrenamtlich für die Literarische Gesellschaft tätig. Eigene Beiträge sind im Text gekennzeichnet. Dieser Blogbeitrag gibt seine Meinung wider, nicht zwingend die der Literarischen Gesellschaft Gräfelfing.
c) Veranstaltungshinweis unter: https://www.literarische.de/events/prof-dr-herfried-muenkler.
d) Ein voran gegangener Vortrag von Prof Martin Schulze-Wessel für die Literarische Gesellschaft fand am 23.02.2024 in Gräfelfing statt. Sichtweise war die sogenannte imperialen Kultur Russlands, Link: https://www.literarische.de/events/prof-dr-martin-schulze-wessel








