Medienkritik und Plädoyer für Presse
- Ulrich Rosenbaum
- 27. März
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 7 Stunden
Journalistin und Autorin Franziska Augstein bei der Literarischen Gesellschaft in Gräfelfing.
AUTORIN: LEONA SOPHIE MÜLLER
MÜNCHNER MERKUR VOM 26.03.2025
Gräfelfing (MM) - Mit der Journalistin und Autorin Franziska Augstein hatte die Literarische Gesellschaft Gräfelfing einmal mehr einen namhaften Gast für einen Vortragsabend gewinnen können. Am Mittwochabend sprach die Tochter des Spiegel-Gründers Rudolf Augstein über die Situation von Presse und anderen Medien. Das betraf deren Rolle in den großen öffentlichen Debatten der jüngeren Zeit: Corona, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht. Das war nicht immer im Einklang mit den rund 250 Zuhörerinnen und Zuhörern in der Aula des Kurt-Huber-Gymnasiums, die ihren Teil zu einem teilweise lebhaften Abend beitrugen.

Augsteins Vortrag war Medienkritik und Plädoyer für die Presse zugleich. „Die CDU und CSU kratzten kürzlich an der Pressefreiheit“, sagte sie zu Beginn. Gemeint war die 551 Fragen umfassende kleine Anfrage der Unionsfraktion zur politischen Neutralität von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) an die Bundesregierung im Februar. Namentlich genannt sei in der Anfrage neben NGOs wie Greenpeace etwa auch das Recherchezentrum Correctiv. Dieser Einschüchterungsversuch „übersteigt die Aufgaben des Parlaments, ist ungehörig und eines Demokraten unwürdig“, gab Augstein zu verstehen. Sie sprach von einer „Ära des Rotstifts“. Berichterstattung, besonders durch Lokalzeitungen, sei ein Grundpfeiler der Demokratie. „Ohne sie besteht ein geringeres Interesse an und Verständnis von Politik. Es folgt eine geringere Wahlbeteiligung“, sagte sie. Durch den Diskurs sei die Kontrolle der Politik gewährleistet. Die Existenz guter Lokalmedien hebt die Moral der Politiker.
Zeitenwende für Journalismus
Bedauerlicherweise würden es aber immer mehr Menschen „vorziehen, sich die Augen beim Blick auf den Bildschirm zu verderben“, sagte Augstein. Sie glaube zwar nicht, dass die Anwesenden das Ende des gedruckten Buchs oder der Zeitung noch erleben würden, aber irgendwann werde es passieren. Das Internet sei die Zeitenwende für den Journalismus gewesen.
„Die digitalen Medien haben den öffentlichen Diskurs verseucht“, findet Augstein. Sie verurteile, dass in den sozialen Medien oft nur das nacherzählt werde, was der Leser ohnehin denke. Sehr geehrte Damen und Herren, „wenn bei Ihnen zu Hause ein Rohr kaputtgeht, sagen Sie dem Klempner doch auch nicht, wo er die Zange ansetzen soll.“ Für die Gesellschaft sei das gefährlich, professioneller Journalismus werde entwertet. Die etablierten Medien seien an dieser Entwicklung jedoch mitschuldig. Besonders während der Corona-Pandemie habe sich das gezeigt. Die Medien hätten die Corona-Maßnahmen verteidigt, „als seien sie Außenstellen des Robert-Koch-Instituts oder des damaligen Gesundheitsministers Karl Lauterbach“. So sei etwa die Frage, ob mit den Schulschließungen die Sicherheit der Kinder gewährleistet worden sei, nicht genug gestellt worden. Im Gegenzug hätten die Medien jeden ausgegrenzt, der die Maßnahmen hinterfragte. Ganz normale Leute wurden mit Rechtspopulisten und Aluhutträgern in einen Topf geworfen. Die etablierten Medien würden weitgehend nur noch das sagen, was ohnehin alle sagen, um keine Angriffsfläche zu bieten, glaubt Augstein.
Bis zu diesem Punkt wurde viel applaudiert, und Augsteins bildhafte Sprache in komödiantischen Momenten mit Gelächter belohnt. Als sie jedoch zum russischen Angriff auf die Ukraine kam, wandelte sich die Stimmung. Augstein monierte, in den Medien werde nicht diskutiert, ob der Angriff auf die Ukraine möglicherweise ein singulärer Akt sei, und fragte, weshalb angesichts der russischen Prägung der Ukraine bei der Frage nach einer möglichen Bedrohung durch Russland kein Unterschied zu anderen Staaten gemacht werde. An dieser Stelle wurde sie von Zwischenrufen unterbrochen, unter anderem mit der Frage, ob sie denn glaube, dass mit Putin verhandelt werden könne.
Kritik an Berichten über Kriegsgefahr
Augstein ließ offen, ob sie den russischen Angriffskrieg für ein singuläres Ereignis hält oder nur findet, Medien sollten diese These stärker diskutieren. Sie sagte, sie habe zu verstehen geben wollen, dass sie die Prognosen über eine mögliche Ausweitung des Krieges für bedenklich halte, ebenso die Aussage von Verteidigungsminister Boris Pistorius, Deutschland müsse „kriegstüchtig“ werden. Er hätte besser verteidigungsfähig sagen sollen. Sprache beeinflusse das Bewusstsein, und Kriege könnten auch herbeigeschrieben werden, wie es beim Ersten Weltkrieg der Fall gewesen sei. Gespräche über Aufrüstung und Wehrpflicht nehme sie als „erschütternd radikal“ wahr und bedauere, dass die meisten größeren Medien diese Position nicht stärker hinterfragten.
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